Islamfeindliche Vorfälle häufen sich. Betroffene Muslime finden
noch viel zu selten Gehör. Weshalb wir antimuslimischen Rassismus ernst nehmen müssen.
Der Hass lauert überall: Wer muslimisch ist, oder auch nur muslimisch „aussieht“ (dazu später mehr), wird beispielsweise auf offener Straße angespuckt, erfährt Diskriminierung im Job und bei der Wohnungssuche. Antimuslimischer Rassismus hat viele Facetten und nimmt bedrohliche Ausmaße an. Es ist eine Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Laut einer Untersuchung von Experten der CLAIM Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit hat die Zahl der hiesigen antimuslimischen Straftaten im Jahr 2023 drastisch zugenommen. Demnach gebe es deutschlandweit mehr als fünf islamfeindliche Vorfälle pro Tag
Offiziell dokumentiert sind 1.926 antimuslimische Straftaten, die in der realen Welt, außerhalb Sozialer Netzwerke, begangen wurden. Doch nicht immer werden islamfeindliche Vorfälle von der Polizei als solche ernstgenommen und erfasst, womit die Dunkelziffer wohl höher liegen dürfte.
Muslime als Feindbild: Diskurse schaffen Klima des Misstrauens
Auffällig ist auch, dass viele nicht-muslimische Deutsche es bevorzugen, in einem Stadtteil ohne Muslime zu leben. Laut Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2023 gaben dies immerhin 58 Prozent der Befragten an. Grund dafür sind tiefverwurzelte Vorurteile und Ängste
gegenüber dieser Religionsgemeinschaft. Diese kategorische
gruppenbezogene Ablehnung ist beispielhaft für die allgegenwärtige Muslimfeindlichkeit.
Nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 haben
islamfeindliche Vorfälle in Deutschland abermals zugenommen. Vielfach geraten Muslime unter Generalverdacht und werden dazu aufgefordert sich von Terroristen zu distanzieren. Das gesellschaftliche Klima ist von Misstrauen geprägt.
„Othering“: Muslime werden zu Fremden
Doch worauf fußt diese zunehmende Feindseligkeit? Öffentliche Diskurse in Politik und Medien fördern nicht selten eine Art Dichotomie, eine Spaltung in „Wir“ (die Mehrheitsgesellschaft) und „Ihr“ (die Muslime). Wissenschaftler sprechen von „Othering“ – wenn eine andere Gruppe „fremd gemacht“ wird, in diesem Fall „die Muslime“. Wenn Politiker der etablierten Parteien, wie CDU-Bundesvorsitzender Friedrich Merz, zum Beispiel arabischstämmige Kinder als „kleine Paschas“ diffamieren, geschieht genau das. Längst dominiert ein Narrativ von „den“ vermeintlich rückständigen, barbarischen, unzivilisierten Muslime.
Ein Feindbild wird perpetuiert, indem vorwiegend negative Eigenschaften dieser „fremden“, muslimischen, Gruppe
zugewiesen werden. Dies geschieht auch, wenn zum Teil irrationale Debatten über das Kopftuch muslimischer Frauen geführt werden. Dabei wird oft emotionalisiert und nicht faktenbasiert argumentiert. Es gibt keine evidenzbasierten Studien darüber, dass ein Hijab für die Emanzipation einer Frau hinderlich sein könnte. So, als symbolisiere es eine Bedrohung für „das“ christliche Abendland, sobald es Einzug in deutschen Schulen, Gerichten und Behörden hält.
Öffentliche Diskurse verstärken das Feindbild
Viele politische Entscheider und publizistische Meinungsmacher
sprechen regelmäßig über Muslime als eine monolithische Gruppe, in der jeder auf dieselbe Art und Weise glaubt und praktiziert. Aber: Muslime sind keine homogene Gruppe. Es existieren verschiedene islamische Strömungen. Auch gibt es Muslime, die nicht praktizieren, sich aber aufgrund ihrer kulturellen Wurzeln zu der Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen.
Muslime werden immer noch nicht als selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft anerkannt und ihre Anliegen (Halal-Schlachtung, Hijab, etc.) sowie Wunsch nach Teilhabe problematisiert. So wird beispielsweise in vielen vermeintlich progressiven Betrieben der Wunsch muslimischer Angestellter nach einem Gebetsraum als zu anspruchsvoll abgetan und nicht respektiert.

Das Muslim-Sein wird als per se unvereinbar mit der deutschen Kultur gesehen. Das liegt zum einen an Ressentiments: Das muslimische Kopftuch und andere islamische Praktiken werden als Widerspruch zur mehrheitlich säkular geprägten deutschen Kultur sehen. Zum anderen gilt „der“ Islam als eine nicht-autochthone Religion in Europa – obwohl zum Beispiel Bosnien ein mehrheitlich muslimisch geprägtes Land in
Europa darstellt.
Auch Nicht-Muslime erfahren antimuslimischen Rassismus
Nun gibt es Stimmen, die den Begriff „antimuslimischer Rassismus“ ablehnen. Muslime seien doch keine Rasse oder Ethnie wird da oft argumentiert. De facto ist die Verwendung des Rassebegriffs aber falsch.
„Rasse“ beziehungsweise „race“ aus dem Englischen wird im
sozialwissenschaftlichen Kontext gebraucht und beschreibt ein
gesellschaftliches Konstrukt. Das schreibt Journalistin Melina Borčak in ihrem Buch „Mekka hier, Mekka da“. Bei „race“ gehe es nicht um biologische Umstände, sodass die Delegitimierung der Begrifflichkeit „antimuslimischer Rassismus“ somit hinfällig wird.
Bereits phänotypische Merkmale, die als muslimisch interpretiert werden, genügen, um diskriminiert zu werden. Das kann ein dunkler Hautton, eine dunkle Haarfarbe, oder ein muslimisch klingender Name sein. Muslimisch ist in den Augen der Rassisten, derjenige, der als muslimisch „gelesen“ wird. Die tatsächliche religiöse Einstellung dieser Person spielt sogar eine untergeordnete Rolle. Auch ein Atheist mit dem Namen „Mustafa“ oder „Ali“ kann beispielsweise antimuslimischen Rassismus erfahren. „Wer von muslimischen Eltern abstammt – und das allein macht ihn oder sie bereits zum Problem oder gar zu Gefahr“, beschreibt es die Historikerin Yasemin Shooman.
Hinzu kommt oft eine Verflechtung von verschiedenen Diskriminierungserfahrungen: Nicht-Weiße Muslime zum Beispiel werden aufgrund ihrer Ethnie und Religion diskriminiert. Ferner erleben muslimische Frauen, die das Hijab tragen sowohl Sexismus als auch antimuslimischen Rassismus. Da ihnen die Zugehörigkeit zum Islam eher angesehen wird als einem Mann, werden sie vermehrt zur Zielscheibe von islamfeindlichen Angriffen.
Darüber hinaus wird eine türkische oder arabische Herkunft nicht selten zum Synonym für „muslimisch“. Bestimmte Nationalitäten und Ethnien werden pauschal mit dem Islam gleichgesetzt, obwohl es unter anderem auch Millionen christliche Araber gibt. Diese Pauschalisierung ist auch deshalb problematisch, weil negative Eigenschaften und Handlungen von Individuen auf eine ganze Religion und Religionsgemeinschaft projiziert werden.
Antimuslimischen Rassismus benennen und ernst nehmen
Es ist auch Usus, diese Form des Rassismus unter dem Deckmantel der Islamkritik zu tarnen. Im CDU-Grundsatzprogramm 2024 hieß es: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland.“ Und wurde später, nach viel Kritik, umgeändert in: „(…) Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.“ Aussagen wie diese sollen zwar einen politischen Islam (Extremismus) anvisieren, wirken jedoch oft verallgemeinernd und unterstellen Muslimen eine antidemokratische Haltung.
Antimuslimischer Rassismus ist ein gesellschaftlich verankertes Problem. Denn wenn Menschen systematisch und strukturell ausgegrenzt werden, hat das Folgen. Wie gefährlich und belastend Rassismus im Alltag sein kann, zeigt die Studie „Rassismus und seine Symptome“ des Berliner DeZIM-Instituts. Demnach gaben 39 Prozent der befragten Musliminnen an, dass sie ihren Arzt wechselten, da sie nicht ernstgenommen wurden.
Folgenschwer kann so ein Verhalten sein, wenn sich diskriminierte
Personen immer seltener zum Arzt trauen und ihre Gesundheit so möglicherweise aufs Spiel setzen. Wenn Moscheen mit Hassbotschaften beschmiert werden oder Drohbriefe erhalten, fühlen sich hiesige muslimische Communitys merklich unsicherer.
Täter-Opfer-Umkehr: Wenn Betroffene zu Tätern gemacht werden
Antimuslimischer Rassismus gefährdet auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Denn wachsende Exklusionserfahrungen führen mittel- und langfristig dazu, dass sich muslimische Personen selbst nicht als Teil der deutschen Gesellschaft wahrnehmen und zurückziehen. Zudem wird in vielen Fällen von antimuslimischem Rassismus eine sogenannte Opfer-Täter-Umkehr erzeugt. Das bedeutet, dass Betroffene von islamfeindlich motivierter Gewalt nicht ernstgenommen werden und sogar die Schuldigen aus den Reihen „der Muslime“ vermutet werden.
Das geschah etwa bei den Ermittlungen zu der rassistischen Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Die Polizei zog rechtsextreme Motive gar nicht erst in Betracht. Stattdessen war von „Schutzgelderpressung“, „türkeistämmiger Mafia“ und „Ausländerextremismus“ die Rede. Unter den Opfern des NSU befinden sich viele muslimisch „gelesene“ Menschen türkischer Herkunft.

Mögliche Prävention von antimuslimischem Rassismus
Umso wichtiger ist es daher, dass antimuslimischer Rassismus als
gesamtgesellschaftliches Problem erkannt und verhindert wird. Die CLAIM-Allianz empfiehlt dazu unter anderem, dass Betroffenen von antimuslimischer Diskriminierung genügend Hilfsangebote bereitgestellt werden. Diese sollten dauerhaft und unabhängig finanziert werden. Die Experten schlagen auch verpflichtende rassismus-kritische Sensibilisierung, (Fort-)Bildung und Weiterbildungen vor – etwa an Schulen, Behörden und Unternehmen.
Die Öffentlichkeit müsse kontinuierlich zu antimuslimischem Rassismus sensibilisiert und informiert werden. Ebenso sollten Strafverfolgungsbehörden antimuslimische Straftaten konsequent erfassen und ahnden. Zusätzlich müssten Schutzlücken im Antidiskriminierungsrecht geschlossen werden.
Wichtig ist aber auch eine etwaige Repräsentation von muslimischen Minderheiten in sogenannten Massenmedien: Film und Fernsehen, Rundfunk oder Print- und Onlineformaten. So kann ethnische und religiöse Vielfalt als Selbstverständlichkeit tradiert werden. Eine mediale Sichtbarkeit überträgt sich so langfristig auch auf die Gesellschaft.
Hilfe für Betroffene von antimuslimischem Rassismus:
- Anonyme Seelsorge-Nummer: 030 443 509 821
- Muslimische Seelsorge im Netz
- Beratungsstellen nach Bundesländern
Quellen und weiterführende Links
- Borčak, Melina (2023): Mekka hier, Mekka da – Wie wir über antimuslimischen Rassismus sprechen müssen
- Keskinkılıç, Ozan Zakariya (2021): Muslimaniac – Die Karriere eines Feindbildes
- Shooman, Yasemin (2014): Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit im World Wide Web. In: Attia, Iman/ Shooman, Yasemin/ Häusler, Alexander (Hrsg.): Antimuslimischer Rassismus am rechten Rand
- Sokolowsky, Kay (2009): Feindbild Moslem
- Zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus
- Antimuslimische Übergriffe und Diskriminierung in Deutschland 2023
- Deutschlandfunk: Antimuslimischer Rassismus hat zugenommen
- Bundeszentrale für politische Bildung: Islam und Europa
- NaDiRa-Bericht 2023: Rassismus und seine Symptome