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  • Antimuslimischer Rassismus: 5 Fragen an Dr. Cihan Sinanoğlu 

    Antimuslimischer Rassismus: 5 Fragen an Dr. Cihan Sinanoğlu 

    Dr. Cihan Sinanoğlu forscht und arbeitet als Sozialwissenschaftler. Seit 2020 ist er für das Berliner DeZIM-Institut Leiter der Geschäftsstelle des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa). Mit Zülal Acar von Press F sprach er über antimuslimischen Rassismus.

    Zülal Acar, PressF: Herr Sinanoğlu, worin liegen die Unterschiede der Begriffe „Muslimfeindlichkeit“ und antimuslimischer Rassismus“?

    Dr. Cihan Sinanoğlu: Über Rassismus lohnt es sich deswegen zu sprechen, weil er die strukturelle und historische Ebene dieses Phänomens deutlich macht. Bei Muslimfeindlichkeit reduzieren Sie die Frage der Lebensrealität von Muslim*innen auf bloße Einstellungsmessungen. Feindlichkeit hört dann quasi im Kognitiven auf – man ist feindlich einer bestimmten Gruppe gegenüber.

    „Rassismus ist eine Praxis, die sich einschreibt in Institutionen, in Strukturen, in gesellschaftliche Debatten und Diskurse.“

    Dr. Cihan Sinanoğlu

    Aber Rassismus ist ja mehr als nur eine Einstellung oder eine Haltung. Rassismus ist eine Praxis, die sich einschreibt in Institutionen, in Strukturen, in gesellschaftliche Debatten und Diskurse. Deswegen ist es viel zu verkürzt über Muslimfeindlichkeit zu sprechen. Was haben wir davon, wenn wir wissen, 30 Prozent dieser Gesellschaft finden Muslime blöd? Was für eine politische Handlungsempfehlung würde denn daraus folgen außer ein paar Bildungsprogramme und Bias-Training? Deswegen geht dieser Begriff (Muslimfeindlichkeit) komplett an der Realität vorbei.

    PressF: Warum hat denn der antimuslimische Rassismus in Deutschland nach dem 7. Oktober 2023 zugenommen?

    Sinanoğlu: Der Antisemitismus wurde vor allen Dingen als importierter Antisemitismus diskutiert und debattiert. Klar war ja, wer damit gemeint ist. Wir haben vor allem über Muslim*innen in diesem Zusammenhang gesprochen. Dementsprechend wurde der politische Diskurs – Friedrich Merz sagte ja, wir müssten die Einwanderung aus dem Nahen Osten stoppen, um keine Antisemiten in dieses Land zu holen – aber es war auch parteiübergreifend so, dass dieser Diskurs immer wieder so geführt wurde. Ich glaube das ist ein Grund, warum das jetzt so an Dynamik gewonnen hat.

    Über diesem Thema steht natürlich auch eine bestimmte Funktion, die Rassismus einnimmt in der Gesellschaft.

    Dr. Cihan Sinanoğlu

    Aber es setzt auch an den ganzen antimuslimischen und antiislamischen Diskursen der Vergangenheit auf. Über diesem Thema steht natürlich auch eine bestimmte Funktion, die Rassismus einnimmt in der Gesellschaft.

    PressF: Und welche Funktion hat Rassismus?

    Sinanoğlu: Das hängt damit zusammen, dass man versucht, die ganzen sozialen und strukturellen Probleme, die man hat, auf eine Gruppe zu verschieben. Auf die Kultur, auf die Integrationsunfähigkeit bestimmter Gruppen, der Überlastung und Überforderung bestimmter Institutionen vor allem durch Muslim*innen. Das ist die Funktion, die Rassismus einnimmt.

    PressF: Von wem geht dieser antimuslimische Rassismus aus, lässt sich das eingrenzen?

    Sinanoğlu: Weil Rassismus ein Strukturprinzip moderner Gesellschaften ist, geht das quer durch die Gesellschaft. Das zeigt sich in verschiedenen Bereichen: im Bildungssystem, in der Arbeitswelt, im Gesundheitswesen, im Wohnungsmarkt und so weiter.

    Es muss ja eine Begründung haben, warum überproportional viele Menschen mit Einwanderungsbiografie – vor allem aus muslimischen Ländern – grundsätzlich im Niedriglohnsektor arbeiten. Und Rassismus liefert dafür eine Begründung: Muslim*innen sind bildungsfern, integrationsunfähig, sie können hart arbeiten. Das sind alles rassistische Stereotypisierungen.

    Dr. Cihan Sinanoğlu

    Wir bezeichnen Rassismus auch als eine Art Wissens-Archiv. Ein Wissen, auf das man zurückgreifen kann, um bestimmte Dinge wie zum Beispiel Ausbeutung in der Gesellschaft legitimieren zu können. Es muss ja eine Begründung haben, warum überproportional viele Menschen mit Einwanderungsbiografie – vor allem aus muslimischen Ländern – grundsätzlich im Niedriglohnsektor arbeiten. Und Rassismus liefert dafür eine Begründung: Muslim*innen sind bildungsfern, integrationsunfähig, sie können hart arbeiten. Das sind alles rassistische Stereotypisierungen.

    Überall da, wo es um Ressourcen und Verteilungskämpfe geht, ist auch Rassismus am Werk, weil ja entschieden werden muss, wer Zugang zu diesen Ressourcen bekommt und wer nicht.

    PressF: Rassismus ist also systemimmanent?

    Sinanoğlu: Man könnte sagen, das System braucht Rassismus, um zu funktionieren. Das Nicht-Ernst-Nehmen dieses Rassismus-Problems geht so ein bisschen darauf zurück, dass man immer wieder Gründe findet, warum die Betroffenheit nicht wichtig ist. Diese Täter-Opfer-Umkehr sehen wir ja andauernd. Dass die Muslim*innen nicht als die Opfer dieser Gesellschaft, sondern als Täter*innen in Bezug auf Terror, Sicherheit, Migration gesehen werden. Und so entledigt man sich anderen Problemen.

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